– ein Gebot des Tierschutzes?
Während am Ende eines langen und harten Winters der Schnee auch in den Höhenlagen allmählich schmilzt und der Frühling deutliche Signale sendet, ist die landesweite Diskussion um das Für und Wider der winterlichen Wildfütterung ungebrochen.
Meist sind es Tierfreunde, die sich hier zu Wort melden, engagierte Mitmenschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Leiden und Schäden von der Tierwelt abzuwenden, denen der Gedanke an verhungernde Wildtiere unerträglich ist und die erst recht entsetzt reagieren, wenn sie persönlich mit einem solchen Tierschicksal konfrontiert werden. Der Rehbock, der in einem Vorgarten nach Nahrung sucht, das Kitz, welches am Ortsrand tot aufgefunden wird, lassen die Wellen der Empörung hochschlagen, Empörung darüber, dass unser Schalenwild grundsätzlich nicht gefüttert werden darf und dass die zuständigen Behörden – es sind dies die Kreisverwaltungen in Absprache mit den Forstämtern – bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen restriktiv verfahren.
Warum ist das so? Unsere Haustiere dürfen wir doch auch nicht sich selbst überlassen. Wer seine Schafe verhungern oder seinen Hund erfrieren lässt, muss mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug oder doch zumindest mit einer saftigen Geldstrafe rechnen. Steht ein solcher gesetzlicher Schutz nicht auch den Wildtieren zu, denen man doch mit Futter über den Winter helfen könnte?
Um es ganz klar zu sagen: Der Rundum-Schutz für unsere Haustiere, die auf unsere Fürsorge angewiesen, uns sozusagen hilflos ausgeliefert sind, kann nicht in Frage stehen, ist aber kein Modell für unseren Umgang mit dem Wild. In der Natur gelten andere Gesetze.
Der winterliche Nahrungsengpass gehört für alle wildlebenden Tiere zum Kreislauf des Lebens, welches sich immer wieder erneuert. Gerade strenge Winter können als Zeit der natürlichen Auslese für die Vitalität einer Population von positiver Bedeutung sein. Während Individuen mit schlechter Kondition unter Umständen verhungern oder an Krankheiten zugrunde gehen, profitieren die überlebensfähigeren Tiere einer Population, indem sie die vorhandene Nahrung besser nutzen können. Mit anderen Worten: Der Wintertod eines schwachen Rehkitzes, so sehr er uns auch rührt, hat für die übrigen Rehe gleich zwei Vorteile. Zum einen haben sie aktuell einen Nahrungskonkurrenten weniger, zum anderen kann das anfällige Tier seine Gene nicht mehr weitervererben, stattdessen vermehren sich die robusteren Rehe, die dem ständigen Überlebenskampf eher gewachsen sind.
Unser schwaches Rehkitz erfüllt aber über seinen Tod hinaus noch eine weitere wichtige Aufgabe im Kreislauf der Natur: Es dient so genannten Beutegreifern als Nahrung, zum Beispiel dem Mäusebussard, der es in einem Winter wie diesem ungleich schwerer hat als unser Schalenwild, lebt er doch – ebenso wie Eule, Hermelin oder Fuchs – in erster Linie von Mäusen. Bei Schneelagen von 40 Zentimeter und mehr ist es aber schier unmöglich, eine Maus zu fangen.
In dem strengen Winter 2005/2006 bekamen die Behörden in Rheinland-Pfalz sehr deutlich vor Augen geführt, wie viele Mäusebussarde und andere Wildvögel Opfer der natürlichen Auslese werden. Infolge der allgemeinen Aufregung um die Vogelgrippe wurden den Veterinärämtern tagtäglich Vögel gemeldet, die tot oder in Einzelfällen auch völlig entkräftet in Ortslagen oder an Straßen und Spazierwegen aufgefunden worden waren. Die Tiere waren aber allesamt nicht dem H5N1-Virus, sondern dem Winter zum Opfer gefallen. Dennoch konnte man im Frühjahr wieder etliche gesunde Mäusebussarde beim Balzflug beobachten. Und kaum jemand kommt ernsthaft auf die Idee, den Greifvögeln mit Futter über den Winter zu helfen.
Die Natur hat Rehe und Hirsche ausgezeichnet an winterliche Notzeiten angepasst. Die Körpertemperatur sinkt, das Winterhaar wirkt stark isolierend und schützt die Tiere vor Wärmeverlusten. Der Nahrungsbedarf ist stark herabgesetzt, das Schalenwild zehrt von seinen Fettreserven und nimmt in erster Linie rohfaserreiche Nahrung zu sich, die mit geringem Energieaufwand mikrobiologisch aufgeschlossen wird. Eine drastische Reduzierung des Stoffwechsels und eine geringe Bewegungsaktivität, auch als „Winterschlaf der Beine“ bezeichnet, tragen maßgeblich zur Energieeinsparung bei.
Von Vorteil ist darüber hinaus die veränderte waldbauliche Praxis. Die frühere Kahlschlagwirtschaft mit dunklen, überwiegend aus Nadelholz bestehenden Wäldern, die nach der der Hiebreife großflächig abgeholzt wurden, ist weitgehend durch kleinräumige Bewirtschaftung mit überwiegend natürlicher Verjüngung, mehr Laubwald und mehr Licht und somit Bodengrün ersetzt worden, wodurch dem Wild eine verbesserte Äsungsgrundlage und ein größeres Sicherheitsgefühl geboten wird.
Wird das Wild in seiner Winterruhe gestört, so kann sich das allerdings verheerend auswirken. Der Stoffwechsel wird angekurbelt, der Futterbedarf erhöht, Verletzungen durch verharschten Schnee tun ihr übriges. Oberstes Gebot ist daher, das Wild bei strengen winterlichen Bedingungen in Ruhe zu lassen. Das gilt für Skifahrer, Wanderer, insbesondere solche mit Hunden, aber natürlich auch für die Jäger. Wenn ein harter Winter herrscht, wie dies in den letzten Wochen in weiten Teilen von Rheinland-Pfalz der Fall war, ist Jagdruhe eine Selbstverständlichkeit. Auch die vermeintlich segensreiche Wildfütterung birgt Gefahren. Der Jäger, der Futter in den Wald bringt, beunruhigt möglicherweise das Wild und veranlasst es in zweierlei Hinsicht zu zusätzlicher Bewegung, einmal infolge Flucht, zum anderen durch das Aufsuchen der Futterstellen.
Energiereiches Futter wie Hafer kann zu erhöhter Wärmeproduktion in den Vormägen und zu örtlichen Entzündungsprozessen führen. Die Tiere gewöhnen sich außerdem an die Fütterung und verlieren in gleichem Maße die Bereitschaft und Fähigkeit, sich natürliche Nahrungsgrundlagen zu erschließen. Die Konzentration von Reh- und Rotwild an den Fütterungen erhöht zudem das Risiko der Übertragung von Krankheitserregern.
Dennoch hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, die Fütterung des Schalenwildes bei besonderen Witterungsbedingungen zuzulassen. Mit Fütterungsgenehmigungen und ihrer Umsetzung durch die Jäger sollte jedoch äußerst sparsam umgegangen werden. Angesichts des unerfreulichen Faktums, dass unser Wild mancherorts nicht die nötige Ruhe findet, kommt in solchen Bereichen bei andauernden und hohen Schneelagen, bei denen über einen längeren Zeitraum ein absoluter Mangel an natürlicher Äsung herrscht, die Gabe von energiearmen Futtermitteln, insbesondere artenreichem Heu, in Betracht.
Der Erhaltung eines möglichst natürlichen Lebensraums, der Verbesserung des Äsungsangebots durch eine vielfältige Vegetation und – vor allem – der Schaffung von Ruhezonen ist jedoch eindeutig der Vorzug vor der Fütterung zu geben. Sofern man ihr die Chance gibt, hilft die Natur sich selbst viel besser, als wir es mit unserem Eingreifen jemals vermögen.